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4.2.3 Neubürger

Erinnerungen einer ,,Evakuierten" (von Christa Block, geb. Rogge)

Als fünfjähriges Kind in Hamburg zu leben, war ein anstrengendes Dasein. Keine Nacht zum Durchschlafen, halb angezogen ins Bett, immer geweckt von Sirenengeheul. Dann Griff zum Trainingsanzug - automatisch -, auf in den Keller, immer die Erste dort unten, Aussicht auf einen Orden nach dem Krieg.

Dann der Spätsommer 1943, der alles verändert. Nur notdürftig bekleidet mit dem obligatorischen Trainingsanzug und Hausschuhen, die Lieblingspuppe im Arm, Mutter auch nur dünn angezogen, werden wir auf ,,strohballengepolsterten" Lastwagen (man sagt: ,,Nur für 2 Tage, zur Vorsicht.") zunächst nach Ahrensburg gebracht. Nach einer Übernachtung in der Schule geht es am nächsten Tag weiter nach Burg auf Fehmarn. Von Rückkehr nach Hamburg ist keine Rede mehr, Hamburg versinkt in diesen Tagen in Feuer, Schutt und Asche, ,,unser" Wohnhaus schon in der 1. Nacht. Später bringt man uns eine Kiste von unseren vielen, die wir im Keller deponiert hatten. So haben wir etwas Wäsche. Vater erhält nach 4 Wochen Fronturlaub, um seine Familie nach Dahlenburg zu seinen Eltern zu bringen.

Spät in der Nacht kommen wir erschöpft auf dem Bahnhof an, dann mit dem Postbus bis zum Ort. Oma und Opa holen uns ab, sind aber keineswegs entzückt über den Zuwachs in ihrem Haus, machen das in der nächsten Zeit auch deutlich.

Bezugsscheine für Waschwannen, ,,Ruffel", Schüssel, Teller, etc. gibt`s vom Bürgermeister.

August 1944 - Einschulung in Dahlenburg, mit Tafel, Griffel und Tornister, mühselig besorgt von Ulrich.

Nach langem Drängeln beim Bürgermeister erhalten wir endlich eine eigene Wohnung ,,Am Markt" mit Notküche (Dachfenster) und einem Zimmer. Mit unseren paar Habseligkeiten ziehen wir kurz vor Weihnachten ein. Als die Vermieterin, Martha Korte, uns mit ein paar freundlichen Worten eine Schüssel mit Suppe bringt, ist es mit der Fassung meiner Mutter vorbei. Diese ungewohnte Fürsorge und Freundlichkeit bringt sie zum Weinen, ich weine aus Gesellschaft mit.

Nachdem wir die ersten Wochen, zwischen Kisten auf dem Fußboden schlafend, verbracht haben, geht es aufwärts. Valentin Euler tischlert uns Möbel: einen Schrank, 2 Betten mit Nachtschränken, einen Küchenschrank, Hocker, Sachen, die wir teilweise heute noch haben. Auch einen Küchentisch mit 2 Abwaschschalen, 2 Küchenstühle und eine ,,Chaiselongue" gibt es. Alles auf Bezugsscheine, für die Mutter teilweise nach Lüneburg muß.

Wir sind wieder wer, und bald können wir sicher nach Hamburg zurück! Mutter muß arbeiten, um Lebensmittelkarten zu erhalten, auf Rittergut Horndorf und bei Orligna. Ich bin viel allein!

Geburtstag, Weihnachten, Geschenke finden sich immer im Geschäft von Sattler Ulrich (kleine Bilder, Sammeltassen, Mokkatassen u. ä.). Lebensmittel auf Karten holen wir bei Radelow oder Fraaß.

Wir bekommen ein zweites Zimmer, welch ein G1ück! Doch nicht lange. Der Flüchtlingsstrom setzt ein, und wir müssen unseren größten Raum an die Familie Mozarski abtreten, die auch dort anfängt, wo wir einmal begannen.

Endlich Kriegsende! Die Besatzungssoldaten werden von uns Kindern mit Neugier und später mit Freude betrachtet. In Richard Röhrs Scheune, wo ein Teil untergebracht ist, geben sie bereitwillig unbekannte Herrlichkeiten, wie Cadbury-Schokolade, Drops, Kaugummi, Apfelsinen und Cornedbeef an uns herumlungernden Kinder ab.

Meine Mutter pachtet von Ulrich ein Gartenstück am Moorweg, welch ein Besitz! Neben Gemüse baut sie hier unter Anleitung von Rudolf Henning, einem treuen Helfer, Ostflüchtling, Tabak an. Tabak ist ein willkommenes Tauschmittel für Speck, Fleisch und andere rare Artikel. Vom Gut, wo Mutter arbeitet, kann sie Zuckerrüben mitnehmen. Stundenlang rührt sie dann in der Waschküche im großen Kessel den braunschwarzen Sirup, für mich als Kind ein wahrer Greuel. Die ,,Einheimischen" schlachten wieder heimlich, und ab und zu ergattern wir eine Wurst davon. Ein gutes Tauschmittel ist auch der Rübenschnaps, Rudolf Henning und einige Freunde von ihm verstehen eine Menge davon. Und so stellt meine Mutter unsere Küche dazu zur Verfügung, weil das kleine Dachfenster leicht zu verdunkeln und daher unauffällig ist. Trotzdem schlägt uns das Herz bis zum Hals, wenn unten im Haus Kontrollen sind. Ich schlafe neben der Brennanlage in der Küche auf der ,,Chaiselongue", ein hartes mit Strohstoff bezogenes Lager.

Lange geht das ganz gut, und wir haben einige Flaschen wertvollen Tauschmaterials im Schrank stehen. Nur mein Schlaf neben dem ganzen Geschehen ist natürlich nicht der beste. Dann - eines Nachts - ein furchtbarer Knall! Die ganze Apparatur fliegt in die Luft, eine zähe Masse ergießt sich über den Fußboden, die Luft voller Alkoholgeruch. Wie durch ein Wunder bleibe ich unverletzt, aber die gute Einnahmequelle versiegt.

Familie Korte mußte dann Haus und Laden verlassen, Kurt Stuhlmacher, von Beruf ,,Molkerist", wird mit Familie hineingesetzt und betreibt den Milchladen weiter.

Meine Mutter übernimmt in einem Gebäude auf dem Hofe des E-Werkes die Betreuung der Badestuben, die Direktor Schröder eingerichtet hat. Das Kühlwasser der Maschinen speist dort in Badekabinen eingerichtete Wannenbäder und Duschen. Da in Dahlenburg zu dieser Zeit nur wenige Häuser Badezimmer aufweisen, erfreuen sich die Bäder des E-Werkes trotz Eintrittsgelder großer Beliebtheit und sind oft ausverkauft. An 2 Tagen in der Woche ist der Badebetrieb für die Besatzungssoldaten reserviert, für Offiziere, die im Schloß Göhrde untergebracht sind. Die Männer haben fast alle Familie und Kinder zu Hause und verwöhnen mich sehr mit Süßigkeiten, auch meine Mutter erhält als ,,Badefrau" oft Schokolade und Lebensmittel. Meistens wird es 22.00 Uhr, bis der letzte Badbesucher geht und die Reinigung der ganzen Anlage erfolgt ist. Dann gehen wir mit Bangen durch das total dunkle Dahlenburg, da das Licht ab 22.00 Uhr abgeschaltet wird, auch in den Häusern. Manchmal begleitet uns dann Rudolf Henning, da der Weg im Stockfinstern unheimlich und nicht ungefährlich ist. Ich bin sehr traurig, als der Badebetrieb endet; denn es war für mich eine schöne und ,,warme" Zeit.

Erst 1948 kehrt mein Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück, und unser Leben beginnt sich zu normalisieren. Nur nach Hamburg kommen wir nie zurück, aber wir sind nicht traurig, denn Dahlenburg ist uns Heimat geworden.

Abschließend möchte ich sagen, daß es trotz des für heutige Verhältnisse armseligen Kinderlebens, eine schöne Zeit war. Die Freude, die wir Kinder empfanden über das erste Weißbrot nach dem ewigen Maisbrot, die erste Brause, die Bananen (irrtüml. von mir als gelbe Gurken gesehen), die ganzen unbekannten Lebensmittel und Süßigkeiten, die kann heute kein Kind je nachempfinden.

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